S AM Basel

Ausstellung «Die Schweiz: Ein Abriss»

Die von Countdown 2030 kuratierte Ausstellung «Die Schweiz: Ein Abriss» war vom 03.09.2022 bis 23.10.2022 im Schweizerischen Architekturmuseum (S AM) in Basel zu sehen. Die Ausstellung beleuchtete verschiedene Aspekte der Abrissthematik und zeigte das komplexe Netzwerk an Abhängigkeiten auf, in das der Schweizer Abriss verstrickt ist. Fünf unterschiedliche Abrisswelten machten das Thema für die Ausstellungsbesucher:innen in seiner Vielfalt erlebbar. Gleichzeitig erreichte das umfassende Rahmenprogramm und Aktionen ausserhalb des Museums eine Vielzahl von Menschen. Die Besucher:innenzahlen und positiven Rückmeldungen, das grosse Medienecho sowie Anfragen für mögliche neue Ausstellungsstandorte in der ganzen Schweiz zeigten, wie viel die Ausstellung bewegt hat. Einige der im Rahmen der Ausstellung lancierten Aktionen laufen über die Ausstellung hinaus und wurden bereits von anderen Institutionen adaptiert und weiterentwickelt.

“Die Schweiz: Ein Abriss“ Online Aussstellung
Für alle die es verpasst haben: Die Ausstellung ist nun online wieder erfahrbar!

Warum «Die Schweiz: Ein Abriss»?
Die Baubranche ist für 40% der CO2 Emissionen und 84% des Abfalls in der Schweiz verantwortlich. Jede Sekunde entstehen durch Abrissarbeiten über 500kg Bauschutt (Bundesamt für Statistik, 2022). Wir sind überzeugt, dass es drastische Veränderungen in der Baubranche, aber auch ein Umdenken in der Gesellschaft braucht. Nur so wird es uns gelingen, die Ziele des Pariser Klimaabkommens und die darin festgelegten Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen.

Wirksame Gesetze zu Wärmedämmung und -rückgewinnung brachten in den letzten Jahren Fortschritte in der Reduktion der Betriebsemissionen von Gebäuden. Wenig berücksichtigt wurde bisher die Grauen Emissionen, die bei der Erstellung von Gebäuden anfallen. Um die Erstellungsemissionen zu reduzieren, müssen wir unseren Umgang mit dem Gebäudebestand ändern. Nicht mehr der Ersatzneubau soll als erste und beste Option gelten, sondern wir müssen uns mit Umbauten und Umnutzungen sorgfältig dem Bestand annehmen. Denn bei einem Abriss verlieren wir auf vielen Ebenen: Nicht nur verursacht ein Neubau bedeutend mehr Treibhausgasemissionen als eine fokussierte Sanierung, wir vernichten auch wertvolle Ressourcen, baukulturelle Zeugnisse und soziale Netzwerke.

Die Strasse der verlorenen Häuser
Im ersten Raum zog sich die «Strasse der verlorenen Häuser» als Fotomontage rund um den Raum. Alle Häuser dieser imaginären Strasse werden bald einem Neubau weichen. Die Fotografien schaffen ein räumliches Gefühl für die Strassenzüge, die in der gesamten Schweiz durch Abriss verschwinden. Die einzelnen Häuser mit ihrer Adresse und dem Bau- und Abrissdatum liehen ihr Gesicht stellvertretend den 6’000 bis 7’000 Gebäuden, die in der Schweiz jedes Jahr abgerissen werden. Die Besuchenden sahen nicht mehr eine abstrakte Zahl, sondern erkannten vielleicht ihre Heimatstadt oder ihr Geburtsdatum wieder, ersannen die Geschichte der Hausbewohner:innen oder erkannten ein Potenzial zum Weiterbau in einem der Häuser.

Abriss-Kino
Durch ein oranges Baustellennetz führte der Weg von der andächtigen Strasse direkt ins laute Abrisskino. Der Bauschutt, der in der Schweiz alle zehn Sekunden entsteht, bedeckten den Boden das Kinos. Auf alten Kühlschränken sitzend vertieften sich die Besucher:innen in die raumhohe Projektion. Die Faszination für den Abriss wollten wir mit dem Abrissfilm ins Museum tragen.

Neben der Projektion zählte der Count-up die Menge Bauschutt, die schweizweit seit dem Beginn der Ausstellung angefallen ist. Jede Sekunde addierte er 536 kg zu einer rasend wachsenden Zahl. Nach rund sieben Wochen, zum Ende der Ausstellung, zeigte der Count-up die unvorstellbare Menge von 2'370'418'774 kg an.

Countdownbüro: Der Verein besetzt das Museum

Den zentralen Raum des Museums besetzte der Verein Countdown 2030 mit seinem Vereinsbüro. Während der sieben Ausstellungswochen hielt der Verein hier seine Plenumssitzungen ab und lud Gäst:innen zu Veranstaltungen ein. Jeden Tag waren Mitglieder vor Ort und kamen mit den Besucher:innen ins Gespräch. Sie berieten Bauherrschaften, stellten sich den kritischen Fragen zu den Ausstellungsinhalten und boten von Abriss betroffenen Mieter:innen ein offenes Ohr.

Das gesamte Wissen, das die Mitglieder während der Ausstellungsvorbereitung gesammelt hatten, war an den Wänden abgebildet. Entlang der steigenden Emissionskurve reihten sich die historischen Ereignisse rund um das Thema Abriss auf und endeten mit einem Einblick in die Situation im Jahr 2022. An den weiteren Wänden nahmen wir uns den Themen Gesetzgebung, Finanzierung und Ressourcenverbrauch an. Am Beginn der Recherche standen offene Fragen. Abschliessende Antworten konnten wir in der Ausstellung nicht geben, doch die Besucher:innen konnten unseren Recherchespuren anhand von Zitaten, Bildern, Geschichten und Zeitungsartikel folgen.

Besonders das Diagramm «Wohin geht mein Haus, wenn es abgerissen wird?» zog die Aufmerksamkeit vieler Besucher:innen auf sich. Es zeigte auf der Basis der Studie MatCH auf, welchen Weg die Bauteile nach einem Abriss gehen.

Krisenkonferenz: Die Akteur:innen des Abriss

Im vierten Raum kamen die Akteur:innen rund um den Abriss zu Wort. Sie trafen an einer imaginären Krisenkonferenz aufeinander und redeten – wie so oft an einer Konferenz – nicht miteinander, sondern aneinander vorbei. Die Besucher:innen setzten sich zu ihnen an den Tisch und konnten sich in die Gespräche mit einem Pensionskassenchef, einem Abbruchunternehmer, einer Bewohnerinnen und einem Bauarbeiter vertiefen. Die Interviews zeigten neben den Argumente für und gegen den Abriss auch, warum die heutigen Gesetze und Normen den Abriss begünstigen.

Über der Krisenkonferenz schwebte der Abriss-Atlas und zeigte den aktuellen Stand der Abriss-Manie in der Schweiz. Die Besuchenden konnten in der Ausstellung abgerissene und vom Abriss bedrohte Gebäude direkt in die partizipative Online-Karte eintragen oder sich in die bereits eingetragenen Geschichten vertiefen.

Der politische Raum

Im vierten und letzten Raum ist ein stetiges Ticken ist zu hören. Ein LED Countdown zählt die Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden bis 2030 hinunter: Dem Zeitpunkt, an dem die Schweiz im Bauwesen Netto Null erreicht haben muss.

Bewusst zeigten wir in der Ausstellung keine positiven Beispiele, um die Thematik nicht zu verharmlosen und keine scheinbar einfachen Lösungsansätze aufzuzeigen. Die Petition wurde dadurch zum Element der Hoffnung und betonte die Wichtigkeit des politischen Handelns. Gemeinsam mit uns forderten die Unterzeichnenden:

Fertig mit dem Abrisswahn – zukunftsfähig Bauen jetzt!

1. Abriss als Ausnahme

2. Fertig mit Fehlanreizen

3. Mehr Bauen im Bestand

4. Klare Ziele für alle Bauten

5. Die öffentliche Hand geht voran

Die Ausstellungsbesucher:innen konnten den Petitionsbogen direkt vor Ort in allen vier Landessprachen und auf Englisch unterschreiben. Die Petition übergaben wir im November an das nationale Parlament.

Projektleitung Countdown2030
Leon Faust, Oliver Zbinden, Rahel Dürmüller, Valerio Alexander Dorn

Mitarbeit Countdown2030
Anastasia Skorik, Andreas Haug (Leitung Videointerviews), Ansgar Staudt, Ayumi Tomita, Basil Witt, Conrad Kersting, Dario Malgiaritta, Emily Vollmer, Eva Schneider, Florian Bitterlin, Friederike Kluge, Hans-Christian Rufer, Heiko Schiller, Isabel Borner, Jakob Schneider, Jérôme Glaser, Julia Büchel, Julia Schöni, Julian Volken, Julie Crot, Karen Trachsel, Kizi Huber, Léonce Aklin, Lisa Walder, Louis Reineke, Luca Peter, Manuel Medina, Mirjam Kupferschmid (Leitung Text- und Rechercheteam), Nola Bally, Palle Petersen, Pascal Gubler, Philippe Grossenbacher, Raphael Andres, Robert Schiemann, Salome Bessenich (Leitung Petition), Sarah Barth, Steffen Blunk, Tobias Hilbert, Viola Hillmer

S AM
Andreas Ruby, Anne Schmidt-Pollitz, Andreas Kofler, Yuma Shinohara, Sandra Bachmann, Valérie Zuber, Maja Schelldorfer, Elena Fuchs, Olivia Jenni, Florence Dürst, Gian Fenner, Jens-Philipp Künzli, Carole Rossetti, Henning Weiss, Linda Cassens-Stoian